Kongressthema: Nachhaltigkeit

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Zeit zum Umdenken: Sprache und nachhaltige Entwicklung

Ulrich Brandenburg, Vorsitzender Deutscher Esperanto-Bund

Die „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 2015 für einen Zeitraum von 15 Jahren beschlossen wurden, nähern sich ihrer Halbzeit. Sie bilden ein breites Themenspektrum ab: von der Bekämpfung von Armut und Hunger über Klimawandel und Schonung natürlicher Ressourcen bis zu Friedenserhaltung und gleichen Bildungschancen. Auch wenn sie meist allgemein gehalten sind: Auf die Umsetzung dieser Ziele haben sich die Mitgliedsstaaten der VN verpflichtet. In manchen Staaten hat die Verpflichtung auf nachhaltige Entwicklung sogar Verfassungsrang erhalten. Viele – auch Deutschland – berichten regelmäßig über erreichte Fortschritte.

Eine Zwischenbilanz zur Halbzeit fällt dennoch ernüchternd aus. Um es vorsichtig zu sagen: Nicht überall auf der Welt ist man einer Verwirklichung der 17 Ziele nähergekommen. Und bei allem Engagement Einzelner für dieses oder jenes Ziel – oft fehlt die Bereitschaft oder Fähigkeit zur Gesamtschau. Mit unserem Kongress in Oldenburg wollen wir einen Beitrag zu einer solchen Gesamtschau leisten, in Zusammenarbeit mit unseren niederländischen Kollegen und mit Unterstützung durch das Erasmus+-Programm der Europäischen Union, für die wir sehr dankbar sind.

Wir werden über Biodiversität und Artenschutz sprechen, über nachhaltige Wasserwirtschaft, über die Wiederbelebung stillgelegter Eisenbahnstrecken und darüber, wie jeder von uns zu einem nachhaltigen Wirtschaften beitragen kann. Bei einem Ausflug zum „Haus im Moor“ werden wir hören, welchen Beitrag zum Klimaschutz die Moore weltweit leisten können. Wir werden etwas über die Nachhaltigkeit von Kryptowährungen hören und uns die provozierende Frage gefallen lassen, ob wir uns nachhaltiges Wirtschaften überhaupt leisten können. Wir werden über Satellitenmüll im Orbit sprechen, aber auch über Themen, die uns als Esperanto-Sprechergemeinschaft vertrauter sind: Sprachpolitik und Sprachplanung z. B. in der EU.

Bei der Vorbereitung dieses Kongresses waren wir selbst etwas überrascht über das Ausmaß an Fachkenntnissen, die wir in der vergleichsweise kleinen Esperanto-Welt vorgefunden haben. Immerhin ist Esperanto hier unsere einzige Arbeitssprache, das war also ein Auswahlkriterium. Haben eine internationale Sprache und der Einsatz für nachhaltige Entwicklung etwas gemeinsam? Auch wenn es gelegentlich abweichende Meinungen gab: Esperanto war von Beginn an mehr als ein Verständigungsmittel im technischen Sinn. Für die meisten von uns gilt: Wer diese Sprache lernt, will damit einen Beitrag für eine solidarische Welt leisten, eine Welt ohne Diskriminierung und mit gleichen Chancen für alle. Nachhaltige Entwicklung bedeutet Erhaltung unserer gemeinsamen Lebensgrundlagen und bedarf einer gemeinsamen, weltweiten Anstrengung. Das geht nicht ohne Verständigung. Esperanto ist ein weltweites Verständigungsmittel, das auf gegenseitigem Respekt beruht: auf gleichem Respekt für alle Muttersprachen und für die Schutzwürdigkeit aller Kulturen.

Keine Frage: Von einer solchen, auf Respekt beruhenden Verständigung sind wir unter den heutigen Bedingungen der Globalisierung weit entfernt. Gute Englischkenntnisse sind heute ein Erfolgskriterium überall dort, wo man international zusammenarbeitet. Die englischsprachige wird zur dominierenden Kultur, abzulesen nicht zuletzt an den aktuellen Statistiken zur Anzahl von Publikationen und Literaturübersetzungen. Aber weit über die Esperanto-Gemeinschaft hinaus wächst gleichzeitig die Sorge, dass auf diese Weise andere Sprachen und Kulturen plattgewalzt werden und Schützenswertes verlorengeht.

Nachhaltige Entwicklung hat auch eine gesellschaftliche, eine kommunikative Dimension. Hier sollten wir ansetzen mit unserem Angebot einer solidarischen Sprache, die von jedem auf der Welt schnell gelernt werden kann. Auf das Angebot einzugehen setzt ein Umdenken voraus, machen wir uns keine Illusionen. Was wir beweisen können – auch mit diesem Kongress und dem deutsch-niederländischen Projekt – ist die Praxistauglichkeit. Im Übrigen nicht nur für akademische Diskussionen, sondern auch für Konzerte, für das gemeinsame Basteln von Flugdrachen, für Ausflüge und für den informellen Austausch in einer solidarischen Gemeinschaft.