“Praktikables Englisch” ist keine Vision für ein gerechtes Europa

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Pressemitteilung des Deutschen Esperanto-Bunds zur Rede von Joachim Gauck

Bundespräsident Joachim Gauck ist in seiner Rede zu Perspektiven der europäischen Idee am 22.02.2013 auch auf die mangelnde innereuropäische Kommunikation eingegangen, als deren Grund er das Fehlen einer gemeinsamen Verkehrssprache identifiziert. Anstatt jedoch hier neue Visionen zu entwickeln, ist für ihn ein “praktikables Englisch” die anzustrebende Lösung, die gleichzeitig die Schaffung einer europäischen Identität begünstigen soll.

Felix Zesch, im Vorstand des Deutschen Esperanto-Bundes für den Bereich Europa zuständig, sieht das kritisch: “Englisch als gemeinsame Verkehrssprache in der Europäischen Union sorgt für eine Zweiklassengesellschaft von Muttersprachlern und solchen, die viele Jahre lang Zeit und Geld investieren müssen, ohne ein annähernd gleiches Niveau zu erreichen. Ein gerechtes, mehrsprachiges Europa sollte versuchen, diese Benachteiligung qua Geburt zu vermeiden.”

Die Folgen dieser sprachlichen Ungleichheit sind nicht nur psychologisch, sondern auch finanziell spürbar. Beim Einzelnen schlägt sich das in Zeit und Geld für Kurse nieder, um eine Sprache mit unregelmäßiger Aussprache, unregelmäßigen Verben und vielen idiomatischen Redewendungen sowie mehrgliedrigen Verben zu lernen. Auf Länderebene sorgt die Ungleichheit für signifikante Unterschiede bei den öffentlichen Ausgaben, z.B. im Schulsystem. Der Wirtschaftsprofessor François Grin bezifferte 2005 den Vorteil, den Großbritannien aufgrund der Vormachtstellung des Englischen in Europa hat, auf 17 Mrd. EUR jährlich, das Dreifache des sogenannten “Britenrabatts”. Professor Grin sah übrigens die Verwendung von Esperanto als kostengünstigste Variante an, die außerdem Gleichberechtigung am meisten verwirklichen würde. Lediglich die auf Unwissen beruhenden starken Vorurteile gegenüber Esperanto ständen dieser Lösung entgegen.

Welches sprachwissenschaftliche Konzept Gauck mit “praktikablem Englisch” meint, ob zum Beispiel “English as a Lingua Franca” oder ein primitives “Globish” bleibt unklar. Gleichzeitig gesteht er in seiner Rede ein, dass die Jahrzehnte währenden Bemühungen, flächendeckende Englischkenntnisse aufzubauen, die zu einer europäischen Öffentlichkeit führen könnten, bisher vergeblich waren und nur bei Eliten zum gewünschten Erfolg führten. Die Chance, hier einen neuen Ansatz in die Politik einzubringen, hat Gauck vertan. Ein “praktikables Englisch” ist keine gerechte Lösung des Sprachenproblems in der EU.

Gauck möchte die sprachliche Integration nicht dem Lauf der Dinge überlassen - ein richtiger Ansatz, der aber mit dem Wunsch nach einem “praktikablen Englisch” nicht realisiert werden kann und letztlich nur eine Fortsetzung der momentanen Entwicklung hin zu einem “English-only Europe” ist, ohne Mehrsprachigkeit und sprachliche Gleichberechtigung zu fördern.

Der Deutsche Esperanto-Bund empfiehlt in seinen 2011 verabschiedeten “Sonnenberger Leitsätzen zur europäischen Sprachenpolitik”, aufbauend auf der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Fachliteratur und den bisherigen praktischen Erfahrungen den Beitrag des Esperanto zur  interkulturellen  Kommunikation von offizieller Seite aus zu untersuchen. Die positiven Erfahrungen von unzähligen Esperanto-Sprechern zu objektivieren könnte die Grundlage für ein gerechte Sprachordnung in Europa sein.

Dafür sollte Esperanto auch in den Schulen angeboten werden und sei es auch nur, um den Sprung ins kalte Wasser des Fremdsprachenlernens mit einer regelmäßig aufgebauten Sprache abzufedern, um anschließend weitere Fremdsprachen leichter zu lernen. Diese Konzept wird im Projekt “springboard2languages” erprobt - in Großbritannien.

Die von Gauck gewünschte europäische Identität kann nicht durch eine Nationalsprache erreicht werden. Dazu bedarf es einer wirklich internationalen Sprache, in der sich alle kulturell begegnen können, ohne in Abhängigkeit vom Geburtsort einen uneinholbaren Vor- oder Nachteil zu haben. Ein Signal in diese Richtung könnte dem Deutschen Esperanto-Bund zufolge die Verwendung von Esperanto als Sprache der europäischen Hymne sein. Diese wird zurzeit ohne Text gespielt, weil man sich auf keine Sprache einigen konnte. Ein entsprechender Text, der die europäischen Werte deutlich macht, liegt zu Beethovens Melodie der “Ode an die Freude” bereits vor.


Berlin, 23.02.2013 - zur sofortigen freien Verwendung, Belegexemplare erbeten an
Deutscher Esperanto-Bund e.V., Einbecker Str. 36, 10317 Berlin; infoatesperanto.de

Ansprechpartner

Felix Zesch, Vorstandsmitglied des Deutschen Esperanto-Bunds für Europa

Tel. 0176-56519804
E-Mail: Felix.Zeschatesperanto.de

Weiterführende Quellen