Eine Sprache für alle

Druckversion | Presebla versio
Veröffentlichung: 
Saturday, 18. December 2021
Medientyp: 
Medium: 
Region (Bundesland): 
Stadt: 
Raportita de: 
Lu Wunsch-Rolshoven

Als der japanische Konzeptkünstler  On Ka-
wara  1966  mit  seiner  „Today“-Serie  begann,  
wurde er schnell mit der Frage nach der Spra-
che  konfrontiert.  Jedes  seiner  täglichen  Bil-
der – bis zu seinem Tod im Jahr 2014 entstan-
den etwa 3.000 – zeugt von dem Ort, an dem
er sich befand. Er fügte dem Bild eine Seite aus
einer Zeitung des Landes an, in dem er sich ge-
rade aufhielt, und auf der Rückseite des Bildes
wurde das Datum der  Aufnahme vermerkt.
Dieses Datum folgt einem Standardformat:
der  Tag,  die  ersten  drei  Buchstaben  des  Mo-
nats  in  der  Landessprache  und  das  Jahr.  In  ei-
nigen  Fällen  ist  es  möglich,  den  Ort  anhand  
des  Datums  zu  bestimmen,  in  anderen  Fällen  
ist  das  unklar.  Aber  wie  konnte  er  dieses  Sys-
tem in Ländern anwenden, in denen er weder
das  Alphabet  noch  die  Kalligrafie  beherrsch-
te?  Kawara  entschied  sich,  Esperanto  zu  be-
nutzen,  wenn  er  in  Russland,  Japan  oder  ei-
nem arabischsprachigen Land zu Gast war.
Die ersten drei Buchstaben der Monate im
Esperanto sind manchmal mit denen in ande-
ren  Sprachen  wie  dem  Englischen  identisch,  
manchmal sind sie deutlich unterschied-
lich. Die  Verbindung zum Raum, seine  Ge-
schichte,  ist  somit  in  drei  Bereichen  gekenn-
zeichnet:  entweder  als  eine  Zone  unter  der  
Einflussnahme des westlichen lateinischen
Alphabets  oder  als  eine  außerwestliche  Zone  
oder  als  eine  dazwischenliegende  und  unbe-
stimmte  Zone,  eine  Zone  der  Begegnung  und  
des Kontakts. Nur Esperanto als nicht territo-
riale Sprache konnte es ihm ermöglichen, sei-
nen Wunsch zum Ausdruck zu bringen, globa-
le  Präsenz  zu  bezeugen,  ohne  unter  das  Joch  
der einen oder anderen imperialen Sprache zu
fallen. Nur mit Esperanto konnte er seine täg-
liche und systematische Produktion prakti-
zieren,  ohne  der  idealistischen  Illusion  zu  er-
liegen, Hunderte von Sprachen und komplexe
Alphabete zu beherrschen. (...)

Untertitel: 

Künstlerinnen und Künstler weltweit verstehen die Kraft, die in der Weltsprache Esperanto liegt, und nutzen das.

Autor: 
Pascal Dubourg-Glatigny
Archiv: 
https://web.archive.org/web/*/https://www.rosalux.de/publikationen/maldekstra